MEINE ED RECOVERY STORY

VON DER MAGERSUCHT ZU SELBSTLIEBE

Hier findest du meine Geschichte in ausführlicher Erzählung. Ich möchte offen und ehrlich über meine Vergangenheit, meine Erfahrung mit der Essstörung, einem negativen Körperbild, Angst und Depression teilen. Denn ich glaube, je offener wir darüber sprechen, desto ernster können Essstörungen genommen werden. Mein Ziel ist es, psychische Krankheiten wie die Magersucht zu enttabuisieren und anderen Menschen zu zeigen, dass sie nicht alleine mit ihren Gedanken und Gefühlen sind. Und dass es Hoffnung auf ein freies, glückliches Leben gibt.

MIT 5 JAHREN DACHTE ICH ZUM ERSTEN MAL: MEIN KÖRPER IST FALSCH.

Ich weiß heute noch ganz genau, dass ich mir schon sehr früh in meinem Leben gewünscht habe, ich wäre in einem anderen Körper geboren. Ich wollte so unbedingt in die Schule gehen und als es endlich so weit war, habe ich die Schule geliebt. Bis auf die Tatsache, dass ich immer die kleinste und jüngste war. Irgendwie führte das dazu, dass ich bereits in der ersten Klasse gemobbt wurde. Später war das nicht mehr so. In meiner frühen Jugend hatte ich zwar liebe Klassenkameradinnen, gehörte jedoch irgendwie nie wirklich dazu. Ich war immer noch klein, jung, war extrem dünn und meines damaligen Erachtens nach zu kindlich. "Strich in der Landschaft" war mein Spitzname in der 8. Klasse. Ich habe laut darüber gelacht. Zuhause habe ich oft leise darüber geweint.

ICH WOLLTE DAZU GEHÖREN, ABER IRGENDWIE SCHIEN MEIN KÖRPER DAS PROBLEM ZU SEIN.

Doch mit 15 Jahren kam ich schließlich auch in die Pubertät und innerhalb kürzester Zeit änderte sich irgendwie alles in meinem Leben: Ich verbrachte die Tage in der Stadt, Nächte auf Partys, lernte Jungs kennen, machte meine ersten Erfahrungen in Sachen Küssen, Liebe und Liebeskummer. Endlich war ich nicht mehr Außenseiterin, sondern so richtig beliebt.
Nicht unter allen, denn auch zu dieser Zeit erfuhr ich Mobbing - diesmal auf anderer Ebene. Es gab eine Zeit, da machten sich Hass-Kommentare auf meiner Facebook Pinnwand breit. Die Art der Verurteilung, die ich bekam, feuerte ich mit meiner Arroganz zurück. Ich glaube, das war einfach der Kreislauf der Jugend in einer ziemlich oberflächlichen Welt.

EINE WELT, IN DER ES MIR WICHTIG WAR, WIE VIELE FREUNDE ICH AUF FACEBOOK HATTE, WIE VIELE LIKES MEIN FOTO BEKAM UND WAS ANDERE ÜBER MEINE FIGUR SAGTEN.

Und obwohl ich bis kurze Zeit vorher eher Probleme damit hatte, zu dünn und unweiblich zu sein, rutschte ich ziemlich schnell in das genaue Gegenteil. Ich beobachtete, wie in Zeitschriften, im Fernsehen, auf Facebook und auch in meinem Freundeskreis bestimmte Körper idealisiert und alles, was da nicht reinpasste, mit Worten und Blicken vernichtet wurden. Ich wollte zur ersten Gruppe gehören. Ich wollte perfekt sein. Bisher waren meine schulischen Leistungen immer perfekt gewesen. Meine Familie war stolz auf mich. Ich wollte endlich auch unter Gleichaltrigen Anerkennung erlangen. Ich musste perfekt sein. Kommentare wie "Du hast aber ein Mondgesicht bekommen. Der Italienurlaub hat dir wohl geschmeckt" oder “Willst du wirklich so viel Mayonnaise zu deinem Schnitzel essen? Weißt du, was da alles drinnen ist?” haben mich dementsprechend komplett aus der Bahn geworfen. Nun hieß es nicht mehr “Cecilia, iss mehr, du bist so dünn”, sondern irgendwie das Gegenteil. Obwohl ich doch immer noch ganz normal aussah?

KURZ VOR MEINEM 16. GEBURTSTAG DACHTE ICH MIR ZUM ERSTEN MAL: ICH BIN ZU FETT.

Mit 16 habe ich zum ersten Mal eine Diät gemacht. Ja, ich habe sogar mit meiner Kindheitsfreundin einen schriftlichen Pakt geschlossen, in dem wir beide uns versprachen, die kommenden Wochen auf alles zu verzichten, was uns schmeckt und abzunehmen. Sie war 3 Jahre jünger als ich. Mit 13 und 16 haben wir gemeinsam eine Diät gemacht, in der Hoffnung, dann zufriedener und glücklicher zu sein.

GLÜCKLICH. ICH WOLLTE NUR GLÜCKLICH SEIN.

Ich war es irgendwie nicht. Wenn ich heute Tagebucheinträge aus dem Jahr 2010 lese, dann lese ich ganz schön oft, dass es mir nicht gut ging. Ich habe mich aber nie getraut, darüber zu sprechen. Was hätte ich sagen sollen? ”Ich lebe in einem Haus mit Garten, habe liebe Eltern, einen Bruder, Freunde, gehe auf Partys und schreibe gute Noten. Aber ich bin nicht wirklich glücklich.” Damals war das für mich absurd. Heute weiß ich, dass ich schon früh mit mentalen Belastungen, mit Depression, Perfektionismus, Kontrollzwang und Hochsensibilität zu kämpfen hatte. Aber all das waren irgendwie Tabu Themen.

ICH WOLLTE NICHT VERRÜCKT SEIN. ICH WOLLTE NUR PERFEKT SEIN.

Diese ganzen Gefühle haben mich so oft machtlos fühlen lassen. Genauso wie das Mobbing und all die blöden Jugenderfahrungen, die man eben so macht. Der Stolz meiner Familie über meine schulischen Leistungen sowie Körperideale, die ständig verbreitet und weiter glorifiziert wurden, lösten in mir noch mehr Panik und den Gedanken aus, all diesen Standards gerecht sein zu müssen. Was wäre ich denn sonst wert?
Oft hatte ich das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Und so wollte ich die Kontrolle wieder zurück bekommen. Was ist denn geeigneter dafür, wenn nicht der eigene Körper?

Meine erste Diät zog sich ganz schön lange, sie wurde zu einer alltäglichen Lebensweise, die auf Verzicht beruhte. Mit 17 begann ich, jeden Abend 300 Sit Ups vorm Spiegel zu machen. Drumherum motivational Quotes, die ich aus Instagram, der neuen coolen App, ausdruckte. Dort folgte ich nämlich Profilen wie “Victorias Secret” oder “skinnymotivations”. Und so hingen dürre Models mit Sprüchen wie:

“MÖCHTEST DU LIEBER EINE PACKUNG CHIPS ODER HIP BONES?”
“DO IT FOR YOUR THIGH GAP”

Meine 300 SitUps wurden zu Joggen vor der Schule, viel Fahrradfahren und weitere SitUps. Später dann zu täglichem exzessiven Krafttraining.
Ich fühlte mich wie eine Gewinnerin als ich hörte “Wow, du hast so einen definierten Bauch und man sieht keine einzige Falte beim Sitzen.” Ich war stolz. Ich bekam Anerkennung.

Und gleichzeitig ging ich durch die Hölle. Das Abitur stand vor der Türe und meine Angst zu versagen und nicht perfekt genug für das Medizinstudium zu sein wurde immer größer. Das war die Zeit, in der ich meine ersten Nervenzusammenbrüche erlitt. Zu dieser Zeit hat weder ich noch jemand anderes das ernst genommen, ich war einfach etwas dramatsich - es war ja nur das Abi und ich war eh gut in der Schule. Heute weiß ich, dass ich damals Hilfe gebraucht hätte. Denn mir ging es beschissen.

Mein Abi zufrieden abgeschlossen, konzentrierte ich mich jetzt auf die andere Sache, in der ich meine Leistung noch beweisen konnte: Meinen Körper und den Sport.
In meinem Jahr vor dem Zahnmedizinstudium rutschte ich immer tiefer in die Sportsucht, aß immer weniger und war doch nie wirklich zufrieden mit mir und meinem Körper. Ich habe mich oft verloren gefühlt und dachte, wenn ich mich noch weiter kontrolliere, dann finde ich wieder Halt und Sinn.
Im Familienurlaub fiel meinem Papa zum ersten Mal auf, dass etwas nicht stimmte. “Isst du genug”, fragte er mich?

NEIN PAPA, NATÜRLICH ESSE ICH NICHT GENUG. DAS WÜRDE MICH FETT MACHEN. UNDISZIPLINIERT. ZU EINER LOSERIN.

“Klar, was willst du denn jetzt von mir?”, gab ich nur bissig zurück, in der Panik, er würde mir auf irgendeine Weise meine hart erarbeitete Disziplin nehmen wollen.
Dieser Strudel des zwanghaften Ess- und Sportverhaltens wurde innerhalb so kurzer Zeit immer extremer. Und als ich schließlich von zuhause auszog, um mein Zahnmedizinstudium in Regensburg zu beginnen, nahm ich noch weiter ab.
Ich war 19 Jahre alt und während meines ersten Semesters in Regensburg kam mir zum ersten Mal der Gedanke: Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Ich hatte eigentlich nur ein Ziel: Ich wollte perfekt sein, wollte Anerkennung, wollte besonders sein - besser als die anderen. Aber ganz bald fühlte ich mich so nicht mehr. Ich merkte, wie mich nach dem Essen das schlechte Gewissen immer mehr plagte, wie mich der extreme Sport um vor und nach der Uni auslaugte, ja, ich begann einmal sogar abends im Bus zu weinen, als ich von einem WG Abend heimfuhr und “zu viel” zuckerhaltige Getränke getrunken hatte. Nachts konnte ich nicht mehr schlafen, ich wachte vor Hunger oder Schmerz auf oder panisch aus Träumen, in denen ich Unmengen an Schokolade aß, in der Angst, es hätte Realität sein können.
Meinem Papa fiel weiterhin auf, dass ich abnahm. Und holte sich schließlich aus Verzweiflung Hilfe.

Und so saß ich da: 19 Jahre alt, Zahnmedizin Studentin, mit meinem Papa in einem Therapie Raum einer Beratungsstelle in München. “Meine Tochter ist magersüchtig.” Ich zuckte zusammen. Magersüchtig. Nein, ich bin nicht verrückt. Ich will perfekt sein, gut genug sein, besonders sein. Aber nicht verrückt.

ABER DAS WAR DER MOMENT, IN DEM ICH MIR ZUM ERSTEN MAL NACH JAHREN EINGESTAND, DASS ICH KRANK WAR. UND DASS ICH HILFE BRAUCHTE.

Es waren Semesterferien und ich verbrachte sie bei meinen Eltern zuhause und zwei Mal wöchentlich für eine Stunde in Therapie. Aus Scham erzählte ich meinen Freund*innen, ich sei beim Arzt, habe wichtige Termine, kann erst später, denn ich müsse noch etwas erledigen. Trotz ambulanter Therapie nahm ich weiter ab. Die Magersucht hatte mich so stark in ihren Klauen, dass ich das Gefühl hatte, gar nicht mehr ich selbst zu sein. Ich trickste herum, wenn meine Eltern von mir verlangten, zu essen, ich weinte oft und viel und ich war am Ende. Wann war ich das letzte Mal glücklich gewesen? Also so wirklich glücklich? Ich wusste es nicht mehr.

”ICH BIN GAR NICHT ZU DÜNN, ICH BIN EINFACH NUR UNGLÜCKLICH. WARUM SIEHT DAS DENN NIEMAND?”

schrieb ich in mein Tagebuch. Als meiner Therapeutin bewusst wurde, dass ambulante Therapie in meinem Zustand keinen Sinn mehr machte, wurde ich ins Krankenhaus eingeliefert. Dort verbachte ich also den Rest meiner Semesterferien. Na toll, ich hatte mir die Studienzeit irgendwie anders vorgestellt. “Ich bin im Urlaub.”, schrieb ich den meisten.

“Wenn du dich mit deiner Krankheit versteckst, dann gibst du ihr immer mehr Raum und sie wird nie gehen.” - Ich will ja auch nicht, dass sie geht. Denn wenn sie geht, werde ich fett., dachte ich. Aber ich wusste, dass meine Therapeutin recht hatte. So weihte ich meine engsten Freunde ein.
Das verrückte war, dass es eine Stimme in mir gab, die sie unbedingt loswerden, die gesund werden wollte. Aber es gab noch eine andere laute Stimme, die scheinbar sehr zufrieden mit der Diagnose war. Sie wollte die Magersucht keinesfalls loswerden. Denn das war nun das, was mich ausmachte.

WER WAR ICH SONST, WENN NICHT DIE HÖCHST DISZIPLINIERTE, EHRGEIZIGE, DÜNNE, TRAINIERTE, LEISTUNGSORIENTIERTE, PERFEKTE CECILIA?

Ich wusste es nicht mehr. Denn mein Leben lang hatte ich mich und meinen Wert von Äußerlichkeiten und Leistungen abhängig gemacht.
Zu dieser Zeit erstelle ich auch meinen Instagram Account, mit dem ich in die ED Recovery Community eintauchte. “Cicisrecovery” half mir nun, mich zu motivieren, zu essen. So, wie es die anderen Accounts auch taten und jedes ihrer Mahlzeiten teilten.

Ich hatte zu dieser Zeit noch zu viel Angst, meine Essstörung loszulassen und so nahm ich auch in der Klinik noch weiter ab, trickste herum, legte die Schwestern und Ärzt*innen herein. Bis ich mich schließlich gegen oberärztliche Anordnung selbst entließ. Obwohl mir vor ein paar Tagen noch gesagt wurde, dass die Essstörung langsam meine Organe angreift. Genauer gesagt: Mein Herz.

DAS WAR MIR EGAL, DACHTE ICH, WENN ICH TOT AUF DER STRASSE UMFALLE, DANN STERBE ICH WENIGSTENS DÜNN.

Zurück in Regensburg angekommen und das zweite Semester beginnend, versprach ich meinen Eltern, dass es besser werden würde. Ich begann, offen über meine Krankheit zu sprechen und bekam von meinen Studienfreund*innen viel Unterstützung im Alltag. Oft aßen wir zusammen und auch mein damaliger Freund nahm mich auf jedem Schritt an die Hand, ging mit mir geduldig durch alle Höhen und Tiefen der Magersucht und der Heilung. Oft weinte ich, weil ich dachte, ich halte es nicht mehr aus. Ich aß zu viel, ich genoss das Leben zu viel. Ich hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren.

Doch es gab einen Moment, da machte es Klick. Es war Frühsommer 2015. Ich stellte mich wie jeden Morgen auf meine Waage, um zu checken, dass ich abgenommen hatte, obwohl ich mit meinen Freunden das Leben genoss. Und ja, hatte ich. So wenig habe ich noch nie gewogen. Doch das Wichtigste blieb an diesem Morgen aus: Mein Glücksgefühl. Der Stolz. Normalerweise war ich so stolz, wenn ich sah, dass ich abnahm. Doch plötzlich kamen mir ganz andere Gedanken: “Was denkst du, was du da tust?! Du wolltest dünn sein und abnehmen, weil du glücklicher werden wolltest. Stattdessen bist du jetzt krank. Und mit jedem Gramm, das du abnimmst, wirst du unglücklicher.

DIESE REISE FÜHRT DICH NUR AN EIN ZIEL: ZUM TOD, WENN DU NICHT DAMIT AUFHÖRST.”

Entgeistert von meinen Gedanken beschloss ich, endlich auf die Stimme in meinem Kopf zu hören, die die Essstörung loswerden wollte. Ich wusste, dass es ab jetzt noch härter werden würde. Aber ich wusste auch, wenn ich das aushalte, dann wird es irgendwann besser werden. Ich wollte endlich wieder frei sein. Ich wollte mir von meiner Magersucht nicht mehr vorschreiben lassen, wer ich zu sein habe und wie ich mich verhalten muss, wann ich mich gut fühlen darf und wann ich mich hassen soll. Denn das tat ich viel zu oft, wenn ich in den Spiegel blickte. Ich wollte mich endlich wieder mögen, ich wollte das Leben wieder mögen.

Bald wurde mir klar, dass Heilung nicht allein mit einer Zunahme geschah und sah ein, dass ich wirklich Hilfe brauchte.
So verbrachte ich auch die kommenden Semesterferien in der Klinik. Diese drei Monate waren mit die besten meines Lebens. Das klingt vielleicht komisch, aber in diesen drei Monaten lernte ich nicht nur, wieder zu essen, sondern ich lernte, das Leben wieder zu genießen. Ich lernte mich selbst neu kennen. Ja, zum ersten Mal seit langem stellte ich mir Fragen wie “Was macht mich glücklich? Was will ich? Was brauche ich?”

IN DIESER ZEIT GEWANN ICH SO VIEL MEHR ALS GEWICHT.

Ich Gewann An Lebensfreude, Energie, Freundschaften, Spaß Am Essen Und Ich Gewann Meinen Sinn Fürs Leben Zurück. Endlich Machte Mein Leben Wieder Sinn. Und Das Berauschte Mich Noch Viel Mehr Als Es Meine Essstörung Je Getan Hatte.

So schwer der Beginn der Klinik auch war, so wirksam war die Zeit. Zum ersten Mal in meinem Leben traute ich mich auszusprechen, dass ich den Weg, den ich gehe, gar nicht gehen möchte. Dass ich noch nie Medizin studieren wollte. Dass ich dachte, ich muss das, um meine Familie stolz zu machen. Dass ich dachte, ich muss das, um Anerkennung zu gewinnen. Dass mich dieses Studium aber unglücklich macht. Dass mich dieser Leistungsdruck, den ich seit meiner Kindheit verspüre, unglücklich macht.

Gleichzeitig passierte etwas, mit dem ich niemals gerechnet hatte: Je mehr ich die Essstörung losließ, desto offener sprach ich darüber. Plötzlich begann ich, nicht nur mich zu einem gesunden Leben zu inspirieren, sondern auch andere. Neue Patient*innen in der Klinik suchten Gespräche mit mir. “Cici, du lachst immer so viel, wenn wir essen. Wie machst du das?” oder “Cici, wegen deinen Worten heute in der Gruppentherapie habe ich es geschafft, das Mittagessen zu essen und mich danach nicht schlecht zu fühlen.” Wow. Ich bewirkte etwas. Einfach nur dadurch, dass ich teilte, was ich dachte und was mir zum heilen verhalf. Schnell merkte ich, dass meine Worte Kraft in sich trugen, dass meine Energie anderen eine Stütze war und dass es mich selbst noch mehr motivierte, Heilung zu wählen. Vor allem merket ich eines: Es machte mir Spaß. Mein Instagram Account wurde in der kommenden Zeit von “cicisrecovery” zu “cicisview” umbenannt.

MIR FIEL AUF, DASS ICH DAMIT NUN WENIGER MICH, SONDERN ANDERE MENSCHEN IN IHRER ED RECOVERY UNTERSTÜTZTE.

Zurück in Regensburg und mit einem neuen Lebensgefühl begann ich das dritte Semester Zahnmedizin. Ich glaube, ich wusste schon damals, dass das Semester sein würde, dass ich nicht zu Ende brachte. Statt zurück ins Fitnessstudio zu gehen, begann ich mit Yoga. Ich hatte noch nie zuvor Yoga gemacht, aber mein Papa meinte, ich darf erst dann wieder Krafttraining betreiben, wenn ich mehrere Monate stabil mein Gewicht hielt. “Fang doch mit Yoga an”, sagte er. keine Ahnung, was mich erwarten würde, stapfte ich also in meine allererste Yogastunde. Und da passierte es: Der nächste einschneidende Klick-Moment. Ich ging mit der Motivation, mich endlich wieder körperlich zu bewegen, zum Yoga. Ich wollte meine Muskeln wieder trainieren. Diesmal auf gesunde Art und Weise. Doch bereits in meiner ersten Stunde machte ich die Erfahrung, dass Yoga so viel mehr ist als nur reine Bewegung auf der Matte.

ICH WAR SO ÜBERWÄLTIG VON DEM GEFÜHL, DAS SICH IN MIR BREIT MACHTE. ICH SPÜRTE, DASS SICH AUF MENTALER EBENE ETWAS TAT. UND DAS FÜHLTE SICH NACH LEBEN AN.

Nach Liebe. Nach frei sein. In der Brücke hängend dachte ich “Das bin ich. Das will ich sein. Und ich will es mit der ganzen Welt teilen”. Zwei Wochen später brach ich mein Zahnmedizinstudium ab, beschloss zurück nach München zu ziehen und mein Studium zu wechseln. Ich wollte Menschen helfen, ich wollte psychische Krankheiten enttabuisieren und anderen Frauen auf ihrem Weg aus der Essstörung helfen. Und ich wollte Yoga machen.

YOGA WURDE ZU EINEM FESTEN BESTANDTEIL MEINES EIGENEN HEILUNGSWEGES.

Jedes Mal, wenn die Stimme meiner Essstörung wieder lauter wurde, jedes Mal, wenn ich mich traurig oder schlecht fühlte, dann fand ich im Yogastudio meinen safe space. Ich lernte durch Yoga, lieb zu mir zu sein, mich zu bewegen, um mir Gutes zu tun, statt mich verändern zu wollen. Ich lernte nach Innen zu blicken und ich lernte loszulassen. Ich lernte, mich zu lieben.

Ich wusste schnell, dass ich genau das zu meiner Berufung machen möchte. Heute erinnere ich mich an einen Satz, den mein Papa damals zu mir gesagt hat, bevor ich das erste Mal in die Klinik eingewiesen wurde: “Du fühlst dich jetzt vielleicht schwach. Aber du bist so stark und du wirst deinen Weg da raus schaffen. Und irgendwann wird deine Krankheit zu deiner Stärke und du heilst andere Menschen mit deiner Geschichte.” Damals habe ich nicht wirklich verstanden, wie er etwas Positives in meiner Situation sehen kann. Heute muss ich schmunzeln, wenn ich daran zurück denke.

UND HEUTE?

Ich kann heute sagen, dass ich ein glückliches und freies Leben lebe. Ich liebe mich selbst und ich liebe meinen Körper. Aber es wäre gelogen zu sagen, dass die Stimme in meinem Kopf verschwunden ist. Denn wenn ich eines auf meinem Heilungsweg gelernt habe, dann dass es nicht darum geht, die Stimme auszulöschen, sondern der Stimme weniger Bedeutung zu geben. Ich habe es geschafft, sie so leise zu drehen, dass sie mein Leben nicht mehr einschränkt. Und manchmal gibt es Tage, da wird sie wieder laut. Auch wenn es unangenehm ist, ist es okay. Ich habe schon so vieles geschafft, da halte ich auch die paar Tage oder Wochen aus, in denen es mir nicht so leicht fällt, mich selbst zu akzeptieren und zu lieben.
Und jeden Tag weiß ich mit 100%iger Sicherheit: 

RECOVERY WAS WORTH IT.